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Verfügbarkeitskaskade – wie Meinungsbilder entstehen

Woran liegt es, dass sich manche Informationen so schnell verbreiten, dass sie in kürzester Zeit die Medienlandschaft überschwemmen und ein Meinungsbild prägen?

Verantwortlich ist dafür die sog. Verfügbarkeitskaskade, die auf dem Verfügbarkeitsfehler (Availability Bias) basiert und dazu führt, dass sich manche Informationen schneller verbreiten als andere. Da kann sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.

Das Konzept der Verfügbarkeitskaskaden wurde von den Psychologen Timur Kuran und Cass R. Sunstein (1999) in einem wissenschaftlichen Papier mit dem Titel „Availability Cascades and Risk Regulation“ erläutert.

Bei der Verfügbarkeitskaskade handelt sich um einen sich selbst verstärkenden, lawinenartigen Prozess, bei dem eine bestimmte Haltung im öffentlichen Diskurs an Dynamik gewinnt, damit (kognitiv) leichter zugänglich und glaubhafter wird. Dies sorgt für eine immer größer werdende Akzeptanz in der breiten Masse, was wiederum die weitere Verbreitung der Informationen anheizt und so das öffentliche Meinungsbild prägt.

Dies kann zu unverhältnismäßigen Reaktionen auf ein bestimmtes Thema oder Ereignis führen, die in der Tendenz eher auf Emotionen als auf Fakten beruhen.

Manipulation durch Verfügbarkeitskaskaden

Personen wie Journalisten, Aktivisten und Politiker, die die Mechanismen und Dynamiken von Verfügbarkeitskaskaden verstehen und aktiv nutzen, um eine bestimmte Agenda zu fördern, werden in der Soziologie als „Availability Entrepreneur“ bezeichnet und als „eine Art erwachsener Kinderschreck“ (Baumeister, 2020) angesehen.

Zu den typischen Taktiken gehören das energische Vertreten eines bestimmten Standpunktes in den Medien, mit vereinfachten, leicht verständlichen Aussagen und emotionalen Sinnbildern, die häufig empirische Daten ignorieren, polarisieren und dramatisieren.

Availability Entrepreneure machen sich den Wunsch der Menschen nach sozialer Akzeptanz und Zugehörigkeit zunutze und suggerieren in ihren Botschaften, dass ein Großteil der Bevölkerung ihrer Haltung zustimmt.

Doch die Auswirkungen von Verfügbarkeitskaskaden können auch positiv sein und aktiv genutzt werden, um positive Veränderungen in der Gesellschaft zu fördern (z. B. Bewusstsein für den Klimawandel, Diskriminierung oder andere Fragen der sozialen Gerechtigkeit).

So hat z. B. die Black-Lives-Matter-Bewegung zu einer erhöhten Wahrnehmung von Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze geführt und durch die zunehmend öffentliche Diskussion des Themas in den Medien den Druck auf die amerikanische Regierung verstärkt, Maßnahmen zu ergreifen und gesetzliche Veränderungen vorzunehmen. Gleiche gilt für die „Me-too-Bewegung“, die die weltweite Öffentlichkeit auf das Ausmaß sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe bei Frauen aufmerksam gemacht hat. Oder auch die „Friday for Future“-Bewegung, die den öffentlichen Diskurs zum Klimaschutz massiv verstärkt und bis in den Bundestag getrieben hat.

Was können wir tun, um Verfügbarkeitskaskaden zu entschärfen?

Eine plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema, verbunden mit impulsiv-emotionalen Diskussionen, der Haltung einer (scheinbaren) Mehrheit moralisch überlegen zu sein, verbunden mit der Ausgrenzung oder „Verteufelung“ nonkonformer Meinungen und einem kollektiven Aufruf zum sofortigen Handeln, sind Warnzeichen einer beginnenden Verfügbarkeitskaskade.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die auftretenden Symptome für sich gesehen in keinem Zusammenhang zu der Bewertung (positive oder negativen Auswirkungen) einer Verfügbarkeitskaskade stehen.

Wenn wir jedoch Informationen objektiv nach verfügbaren Fakten bewerten, anstatt sie einfach zu akzeptieren, nur weil diese weithin diskutiert werden, können wir vermeiden, ein Opfer der schädlichen Auswirkungen von Verfügbarkeitskaskaden zu werden.

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