Es ist unglaublich, wie hartnäckig sich halb-wissenschaftliche und küchenpsychologische Mythen halten, insbesondere in der Szene der Marketeers und halbseidenen Coaches.
Ein besonders beliebter Mythos besagt, dass die linke Gehirnhälfte eher dem logischen, rationalen Denken zugeordnet sein soll und die rechte Gehirnhälfte der Intuition und den Emotionen. Diese Fehlinterpretation wird dann ganz unverblümt auf verschiedene Persönlichkeitstypen übertragen, um daraus Handlungsempfehlungen, z. B. für das Marketing oder die Pädagogik abzuleiten.
Es gibt zwar anatomische und funktionale Unterschiede zwischen den beiden Hirnhälften (Lateralisierung). Doch für die genannte Pauschalaussage gibt es bis heute keinen einzigen fundierten wissenschaftlichen Beweis. Im Gegenteil, grundsätzlich nutzen gesunde Menschen beide Gehirnhälften, und zwar wechselseitig, verbunden durch eine „Nervenbrücke“, dem Corpus Callosum. Das ist auch wichtig, denn die rechte Seite unseres Körpers wird von der linken Gehirnhälfte gesteuert und vice versa.
In der linken Hemisphäre sitzen das Broca- und das Wernicke-Areal, beide sind an unserem Sprachvermögen beteiligt. Das räumliche Sehen und die Gesichtserkennung beispielsweise wird von einem Areal in der rechten Hemisphäre des Gehirns gesteuert. Diese Erkenntnisse haben sehr wahrscheinlich zu einer verzerrten Sichtweise der Gehirnasymmetrie und dem damit verbundenen Mythos beigetragen.
Patienten, denen aus medizinischen Gründen (z. B. Epilepsie) die „Brücke“ zwischen den beiden Gehirnhälften durchtrennt wurde (Split-Brain-Patienten), können Gegenstände, die nur dem linken Gesichtsfeld gezeigt werden, zwar mit der rechten Hand ertasten, aber nicht benennen. Warum: Weil die Informationen des visuell durch das linke Auge wahrgenommenen Gegenstands (überkreuzt verarbeitet in der rechten Gehirnhälfte), nicht an das Sprachzentrum in der linken Gehirnhälfte „übergeben“ werden können.
Auch wenn es speziell verortete Areale in unserem Gehirn gibt, die für bestimmte Körperfunktionen und Kognitionen zuständig sind, lässt sich daraus kein Rückschluss einer interpersonellen einseitigen Nutzung von Gehirnhemisphären ziehen. Erst recht nicht einhergehend mit spezifischen Persönlichkeitstypen und deren ausgeprägten Eigenschaften wie Rationalität, Intuition oder Kreativität. Das ist schlicht Humbug!