Müssen wir einfach nur die Tipps von erfolgreichen Menschen wie Tim Ferriss, Napoleon Hill, Hermann Scherer, Bodo Schäfer und anderen befolgen, um glücklich und erfolgreich zu werden? Werden wir genauso erfolgreich wie Tony Robbins, wenn wir seine Routinen und Arbeitsabläufe kopieren?
Sicherlich nicht. Daher dienen auch die meisten Bücher aus der Ecke der Coaching-Ratgeber in erster Linie nur dem Erfolg der Autoren selbst. Ausnahmen (der Erfolgreichen) bestätigen die Regel.
Viele Artikel und Bücher wie „Tools der Titanen“ unterliegen dem „Survivorship Bias“ und berücksichtigen nicht die vielen stillen, erfolglosen Zeugen. Das heißt all die Menschen und sehr wahrscheinlich die Mehrheit, die derartige Tipps befolgt haben und eben NICHT erfolgreich geworden sind.
Die Analogie aus Nassim Talebs empfehlenswerten Buch „Der schwarze Schwan“ beschreibt das Phänomen wie folgt: Menschen, die an Gott glauben, zeigt man Bildtafeln mit Abbildungen betender Menschen, die ein Schiffsunglück überlebt hatten. Die Schlussfolgerung der Gläubigen: Beten schützt Menschen vor dem sicheren Tod. Fragt man hingegen einen Ungläubigen, wird er die Frage stellen, wo denn die Bildtafeln sind, mit Abbildungen von Menschen, die beim Schiffsunglück gestorben sind.
Im oben genannten Beispiel können die Toten nicht sprechen und daher keine Tafeln erstellen. Im Fall der populistischen Ratgeberliteratur bekommen die vielen weniger erfolgreichen Menschen, die „Verlierer“ keine Stimme (im Forschungszusammenhang und bei Veröffentlichungen von Studien spricht man dann vom „File Drawer Effect“.
Es sprechen nur die Überlebenden bzw. die Erfolgreichen, die erfolglosen Verlierer werden einfach aus der Gleichung gestrichen. Dies führt zu einer drastischen statistischen Verzerrung der Grundgesamtheit. Daher der Name „Survivorship“-Bias.
Beim wohl prominentesten Beispiel für den Survivorship-Bias geht es um die Optimierung von US-Kampfflugzeugen im Zweiten Weltkrieg: Die Ingenieure betrachteten die Einschusslöcher von zurückgekommenen Maschinen und verstärkten diese Bereiche, mit dem Ziel, die Abschussquote zu verringern. Das klappte zuerst nicht. Warum? Weil die Ingenieure lediglich die Flugzeuge berücksichtigten, die trotz massiver Schäden, erfolgreich zurückgekommen waren, statt die kritischen Schwachstellen bei den Flugzeugen zu suchen, die abgeschossen und zerstört wurden.
Statt die Ursachen von Misserfolgen näher zu betrachten, neigen Manager bei der Umsetzung von Strategien dazu, nur bekannte Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen.
Bei der Personalauswahl spielt häufig der „Track-Record“ eine wichtige Entscheidungsrolle. Dieser bildet jedoch lediglich vergangene Erfolge ab, Misserfolge werden verschwiegen. Das könnte – ganz im Sinne des Bewerbers – zu einer positiven Verzerrung führen, da das Verhältnis von Erfolgen zu Misserfolgen nicht erkennbar ist. Des weiteren lassen sich aus vergangenen Erfolgen aufgrund neuer, multipler, komplexer Einflüsse nur sehr eingeschränkt zukünftig Erfolge prognostizieren.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Customer Experience ist die Fehleinschätzung von Kundenzufriedenheitsumfragen. Werden nur bestehende Kunden befragt, besteht ebenfalls die Gefahr einer positiven Verzerrung, da bestehende Kunden ja tendenziell zufrieden sind mit den Leistungen des Unternehmens. Es ist also deutlich relevanter, „potenzielle“ und vor allem verärgerte Kunden zu befragen, die abgewandert sind und Leistungen nicht oder nicht mehr in Anspruch nehmen.
- Entwickeln Sie ein Problembewusstsein für den Survivorship Bias. Kennen Sie die Anfälligkeit für diese Denkverzerrung, fällt es Ihnen leichter diese zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
- Betrachten Sie immer die Grundgesamtheit und beziehen Sie die Gescheiterten beziehungsweise die Misserfolge in Ihre Überlegungen ein.
- Setzen Sie Erfolge und Misserfolge immer in ein Verhältnis zur Grundgesamtheit. Dann können Sie Erfolgschancen realistischer einschätzen.
- Fragen Sie sich: Ist der Anteil positiver Ergebnisse innerhalb meiner Stichprobe überdurchschnittlich hoch? Ist die Stichprobe ausreichend groß (Gesetz der kleinen Zahlen)?