Ich lese zunehmend, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden zurück in die Präsenz ins Büro beordern. Nach einer aktuellen Umfrage von KPMG (Reisbeck, 2023) unter CEOs erwarten wohl 68 % eine vollständige Rückkehr in Präsenz innerhalb der kommenden drei Jahre.
Das Argument in den Unternehmen: Die Produktivität sinkt! Das sagen auch einige aktuelle valide empirische Studien (Gibbs et al., 2023).
In einer von Microsoft durchgeführten Umfrage sagen 85 % der CEOs, dass die „Verlagerung auf hybride Arbeitsformen es schwierig gemacht hat, darauf zu vertrauen, dass die Mitarbeiter produktiv sind.“ Die Aussagen decken sich auch mit den Ergebnissen einer globalen Umfrage von Citrix unter 900 Entscheidern und 1.800 Wissensarbeitern, die ihre Arbeit auch zu Hause erledigen können. Über die Hälfte der befragten Entscheider glauben, dass Mitarbeitende, die „außer Sichtweite“ arbeiten, nicht so hart arbeiten.
Die Frage ist jedoch, ob sich der Glauben und das „Bauchgefühl“ von Entscheidern und CEOs auch mit realen Fakten und der aktuellen Studienlage deckt.
Büropräsenz ist wichtig, genauso wie die Freiheit bzw. Möglichkeit Mitarbeitenden Homeoffice zu ermöglichen. Doch die Form der Tätigkeit, die Unternehmenskultur und der Führungsstil, ebenso wie die individuelle Lebenssituation und Persönlichkeit von Mitarbeitenden haben einen großen Einfluss auf die Effekte von Homeoffice. Da ist sich die Forschung im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie einig.
Es bringt in den meisten Fällen nachweislich wenig für das Engagement und die Produktivität, wenn Geschäftsleitungen großer und kleiner Unternehmen panikartig ⚡️ eine komplette Rückwärtsrolle machen und ihre Mitarbeitende wieder zur vollständigen Anwesenheit zwingen.
Da persönliche Meinungen oder Einschätzungen nur selten hilfreich sind für allgemeine Empfehlungen, beschränke ich mich im folgenden auf die Ergebnisse aktueller Studien zum Thema „Homeoffice“ und dessen Einfluss auf verschiedene Faktoren:
👉🏼 Einige Studien (Biemann & Weckmüller, 2015; Virick et al., 2010) zeigen, dass eine vollständigen Verlagerung ins Homeoffice zu einer geringeren sozialen Interaktion mit Kollegen, einer Erhöhung der wahrgenommene Isolation (Danilova et al., 2023; Ipsos, 2011) und einer Verringerung der Arbeitszufriedenheit führt. Selbst wenn Arbeitnehmer:innen Arbeitnehmer sich selbst als autonom wahrnehmen, steigt die Arbeitszufriedenheit nur geringfügig (Gajendran & Harrison, 2007).
👉🏼 Die Ergebnisse einer Studie mit über 61.000 Mitarbeitenden bei Microsoft zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Kollegen statischer und isolierter wurden und dies dazu führte, dass es schwieriger wurde neue Informationen über das Netzwerk zu erwerben und auszutauschen (Yang et al., 2022).
👉🏼 Die Studie von Danilova et al. (2023) zeigt, dass die Qualität des Arbeistplatzes zuhause und die Reichweite und Kommunikationsqualität von Informations- und Kommunikationstools positive Prädiktoren für die Arbeitsleistung sind.
👉🏼 Das vielfach zitierte „Ctrip-Experiment“ des Ökonomen und Homeoffice-Forschers Nicholas Bloom (Bloom et al., 2015) zeigte, dass Mitarbeitende im Homeoffice im Durchschnitt 13 % effizienter arbeiten. Zudem machten diese kürzere Pausen, hatten weniger Krankheitstage, nahmen weniger Urlaub und deren Kündigungsrate lag um 50 %. niedriger.
🚨 ABER: Bloom selbst betrachtet die Arbeit im Homeoffice heute deutlich kritischer und macht die Ergebnisse abhängig von der Ausstattung des Arbeitsplatzes zuhause und der Anzahl an Homeofficetagen pro Woche. Nach Angaben von Bloom ist die persönliche Zusammenarbeit mit Kollegen insbesondere für die Entwicklung der Kreativität und Aufrechterhaltung der Motivation der Mitarbeitenden essenziell.
👉🏼 Die Produktivität im Homeoffice hängt positiv mit der wahrgenommenen Nützlichkeit und Benutzerfreundlichkeit und Kontrolle der Umgebungsbedingungen (des Arbeitsplatzes zuhause), der interindividuellen hedonistischen Überzeugung und Einstellung zusammen (Marikyan et al., 2021).
👉🏼 Eine Meta-Studie von Anakpo et al. (2023) zeigt, dass die Produktivität und Leistung von Mitarbeitenden im Homeoffice von einer Vielzahl von Faktoren abhängen, wie z. B. der der Art der Arbeit, den Merkmalen des Arbeitgebers und der Branche sowie der häuslichen Umgebung. Die Mehrheit der untersuchten Studien berichten über positive Auswirkungen.
👉🏼 Normatives Engagement und intrinsische Motivation von Mitarbeitenden haben einen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und die Leistung im Homeoffice (Salma Sultana et al., 2021).
👉🏼 Bereits 2014 stellten Beckmann und Cornelissen fest, dass der auf Vertrauensarbeitszeit basierende durchschnittliche Arbeitseinsatz 1,5 Stunden über der einer geregelten Arbeitszeit pro Woche liegt.
👉🏼 Unternehmen mit einer hohen digitalen Resilienz, die die Fähigkeit besitzen digitale Technologien für die Fernarbeit zu nutzen, sind widerstandsfähiger gegenüber wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schockereignissen (Bai et al., 2021).
👉🏼Das Commitment von Mitarbeitenden ist dann am höchsten, wenn der Anteil am Homeoffice im mittleren bis niedrigen Bereich ( 2 bis max. 3 AT) liegt. Dies trifft umso mehr auf das Engagement zu, das bei niedrigen Homeofficeanteil am höchsten ist (Krick et al., 2022).
🚨 Führungskräfte profitieren deutlich weniger vom Homeoffice als Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung. Zuviel Homeoffice führt bei Führungskräften zu einer geringeren Arbeitszufriedenheit, niedrigerem Commitment und einem stärkeren Erleben von psychischen und körperlichen Belastungen (Krick et al., 2022).
Wie so häufig bei der Untersuchung psychologischer Vorgänge und Effekte, steht auch beim Thema „Homeoffice und Arbeitsleistung“ die komplexe Interaktion zwischen Mensch und Umwelt im Fokus. Ein klares JA oder NEIN zu Homeoffice ist nicht möglich, sondern eher ein „Es kommt darauf an.“
CEOs und Entscheider können die Fakten ignorieren und ihrem „bias-based Gutfeeling“ (Affektheuristik, ick hör’ dir trapsen) folgen oder sinnvolle, evidenzbasierte Lösungen etablieren, die Mitarbeitenden UND dem Unternehmen dienlich sind.