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Die Intention–Behaviour-Gap: Warum gute Vorsätze scheitern

Wir alle kennen das: Am 1. Januar nehmen wir uns vor, mehr Sport zu treiben, gesünder zu essen oder endlich regelmäßig zu meditieren. Die Motivation ist da, die Absicht ist klar – und doch scheitern die meisten Neujahrsvorsätze bereits nach wenigen Wochen.

➡️ Nur etwa zwischen 19 % und 40 % der Menschen erreichen ihre Neujahrsvorsätze nach sechs Monaten (Norcross & Vangarelli, 1988; Norcross, Mrykalo & Blagys, 2002).

Was im Privaten frustrierend ist, wird im Unternehmenskontext zum strategischen Risiko. Denn genau dasselbe Phänomen zeigt sich in Teams und Organisationen: Neue Prozesse werden beschlossen, Transformationsprojekte gestartet, Kulturwandel angekündigt – aber die tatsächliche Umsetzung bleibt aus. Der Wille, die Intention ist da, das Verhalten folgt nicht.

Ob privater Vorsatz oder strategische Initiative: Beide scheitern am selben psychologischen Mechanismus – der Intention–Behaviour-Gap.

»Die Intention-Verhaltens-Lücke bezieht sich auf die Tatsache, dass ein erheblicher Anteil von Menschen, die Intentionen zur Ausführung eines Verhaltens bilden, es nicht schaffen, diese Intentionen in Handlung umzusetzen.«

Sheeran, 2002

Der Begriff Intention-Behaviour Gap (oder Intention-Action Gap) wurde nicht von einer einzelnen Person „entdeckt“, sondern entwickelte sich aus der sozialpsychologischen Forschung zwischen den 70er und 90er Jahren.

Die Intention–Behaviour-Gap beschreibt die systematische Diskrepanz zwischen dem, was Individuen oder Teams sich vornehmen (Intention) und dem, was sie tatsächlich tun (Behaviour).

1. Intention allein erklärt nur einen kleinen Teil des Verhaltens

Die bekannteste Theorie dazu ist die Theory of Planned Behavior (Ajzen, 1991). Ajzen zeigte, dass Intention ein zentraler Prädiktor für Verhalten ist – aber:

Intention ist notwendig, aber nicht hinreichend.

Zahlreiche empirische Arbeiten replizierten diesen Befund: Intention erklärt typischerweise 20 – 30 % der Verhaltensvarianz – der Großteil bleibt unaufgeklärt.

💡 Die Diskrepanz entsteht, weil Verhalten im Alltag nicht primär von Absicht, sondern von Kontextfaktoren, Gewohnheiten, Selbstwirksamkeit und situativen Hürden gesteuert wird.

2. Warum Intention im Unternehmenskontext so häufig versagt

Basierend auf neueren empirischen Modellen wie dem Health Action Process Approach (Schwarzer, 2008), der Goal-Setting Theory (Locke & Latham, 2013) und organisationaler Verhaltensforschung, lassen sich fünf Kernfaktoren identifizieren

2.1 Fehlende Umsetzungsspezifikation („Wann genau? Wie genau?")

Das ist einer der stärksten Treiber der Gap. Je unklarer eine Intention, desto unwahrscheinlicher ihre Umsetzung (Gollwitzer, 1999).

In Organisationen betrifft das

  • vage Zielsetzungen („Wir müssen schneller werden“)
  • unklare Verantwortlichkeiten
  • fehlende Prozessdefinitionen
  • unklare Trigger („Ab wann genau beginnen wir damit?“)

2.2 Mangelnde Selbstwirksamkeit

Bandura (1997) bezeichnete Selbstwirksamkeit als wichtigsten psychologischen Motor menschlicher Handlung. Menschen tun eher das, wovon sie glauben, dass sie es können.

Das gilt auf Teamebene gleichermaßen:

  • Teams mit hoher kollektiver Selbstwirksamkeit integrieren neue Prozesse schneller.
  • Teams mit geringer Selbstwirksamkeit bleiben länger bei alten Mustern.

Bandura (1997) bezeichnete Selbstwirksamkeit als wichtigsten psychologischen Motor menschlicher Handlung. Menschen tun eher das, wovon sie glauben, dass sie es können.

Das gilt auf Teamebene gleichermaßen:

  • Teams mit hoher kollektiver Selbstwirksamkeit integrieren neue Prozesse schneller.
  • Teams mit geringer Selbstwirksamkeit bleiben länger bei alten Mustern.

2.3 Friktion (Hürden, Aufwand, Komplexität)

Eine der wichtigsten modernen Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung: Kleine Hürden verhindern große Vorhaben. Carroll et al. (2023) zeigten, dass bereits minimale Friktion (zusätzliche Klicks, fehlende Ressourcen, unklare Zuständigkeiten) Verhalten drastisch reduziert. Unternehmen unterschätzen diesen Faktor systematisch.

2.4 Fehlende Wiederholung und geringe Automatisierung

Verhaltensveränderung entsteht über Wiederholung, nicht über Motivation.

Lally et al. (2010) und Gardner et al. (2024) zeigten:

  • Gewohnheiten entstehen durch stabile Hinweisreize (Zeit, Ort, Prozess).
  • Automatisierte Routinen sind nachhaltiger als bewusste Entscheidungen.

Für Organisationen bedeutet das: Ohne definierte Routinen (Checkpoints, Meetingformate, Prozessschritte) bleibt Verhalten instabil.

2.5 Unklare oder schlechte Zielsetzung

Viele Organisationen leiden an „strategischer Unschärfe“. Die Goal-Setting-Theory von Locke & Latham (2013) zeigt:

  • Präzise, spezifische, messbare Ziele → deutlich höhere Umsetzung
  • Vage, pauschale Ziele → scheitern fast immer

3. Was wirklich funktioniert: Evidenzbasiertes Verhaltensdesign

Basierend auf den oben genannten Mechanismen lassen sich fünf empirisch robuste Hebel ableiten:

3.1 Implementation Intentions (Wenn X passiert, mache ich Y")

Die Wirksamkeit von Implementation Intentions ist eine der best-untersuchten Mechanismen* und basiert auf einer simplen, aber wirkungsvollen Idee:

Verhalten wird wahrscheinlicher, wenn wir im Voraus festlegen, wann genau und unter welchen Umständen wir handeln wollen. Statt uns auf abstrakte Absichten zu verlassen, schaffen wir konkrete mentale Verknüpfungen zwischen Situation und Handlung.

Diese sogenannten Trigger fungieren als automatische Auslöser für gewünschtes Verhalten – und machen den entscheidenden Unterschied zwischen Intention und tatsächlicher Umsetzung.

Was sind konkrete Trigger?

Trigger sind spezifische Auslöser, die eine automatische Handlung in Gang setzen. Sie funktionieren am besten, wenn sie:

  • Zeitbasiert sind: „Jeden Montagmorgen um 9:00 Uhr führe ich ein Teammeeting durch.“
  • Situationsbasiert sind: „Wenn ich mein E-Mail-Postfach öffne, bearbeite ich zuerst die Nachricht mit der höchsten Priorität.“
  • Ereignisbasiert sind: „Sobald ein Projekt abgeschlossen ist, plane ich sofort ein Retrospektiven-Meeting.“
  • Personenbasiert sind: „Wenn ein Mitarbeiter zu mir ins Büro kommt, lege ich mein Handy zur Seite und höre aktiv zu.“
  • Ortsbasiert sind: „Wenn ich den Besprechungsraum betrete, schalte ich mein Telefon auf lautlos.“
Beispiel für Wenn-Dann-Fomulierungen im orgasitionalen Kontext
  • „Wenn die Sprint-Planung endet, dann überprüfe ich sofort die offenen Blocker.“
  • „Wenn wir einen neuen Kunden onboarden, dann protokollieren wir innerhalb von 24 Stunden die offenen To-Dos.“
  • „Wenn ich meinen Laptop hochfahre, überprüfe ich zuerst meinen Kalender für die wichtigsten drei Prioritäten des Tages.“
  • „Wenn ich von einem Meeting zurückkomme, notiere ich sofort die vereinbarten nächsten Schritte.“
  • „Wenn es Donnerstagnachmittag ist, blocke ich eine Stunde für strategische Planung.“
  • „Wenn ein Mitarbeiter einen Erfolg meldet, antworte ich innerhalb von 2 Stunden mit einer persönlichen Anerkennung.
Beispiele für konkrete Wenn-Dann-Pläne für Führungskräfte:
  • Mitarbeiterentwicklung: „Wenn ich Feedback gebe, dann beginne ich mit einer konkreten positiven Beobachtung.“
  • Delegation: „Wenn ein Mitarbeiter eine Aufgabe übernimmt, dann vereinbare ich direkt einen Termin für ein Zwischen-Check-in.“
  • Entscheidungsfindung: „Wenn eine wichtige Entscheidung ansteht, dann hole ich bewusst die Perspektive von mindestens einer Person ein, die anders denkt als ich.“
  • Konfliktmanagement: „Wenn ich Spannungen im Team bemerke, dann spreche ich die Beteiligten innerhalb von 24 Stunden einzeln an.“
  • Wertschätzung: „Wenn ein Projekt abgeschlossen wird, dann nehme ich mir 10 Minuten Zeit, um jedem Teammitglied persönlich zu danken.“
  • Transparenz: „Wenn ich aus einem Management-Meeting komme, dann teile ich relevante Informationen noch am selben Tag mit meinem Team.“
  • Selbstreflexion: „Wenn ich Freitagnachmittag meinen Kalender für die nächste Woche prüfe, dann blocke ich bewusst Zeit für strategisches Denken.“
  • Psychologische Sicherheit: „Wenn ein Mitarbeiter einen Fehler macht, dann frage ich zuerst: ‚Was können wir daraus lernen?‘ statt ‚Wer ist schuld?’”

3.2 Selbstwirksamkeit stärken

Durch:

  • klare Erwartungen
  • realistische Ressourcen
  • Training
  • Feedback
  • Erfolgserlebnisse

Selbstwirksamkeit ist einer der stärksten Prädiktoren für Verhalten.

3.3 Friktion radikal reduzieren

Das heißt:

  • weniger Schritte
  • weniger Tools
  • klare Ownership
  • definierte Prioritäten
  • niedrige Switching Costs

„Make the right behaviour the easiest behaviour.“

3.4 Routinen und Habit-Design

Teamroutinen können verändert werden durch:

  • feste Zeitpunkte
  • standardisierte Check-ins
  • definierte Prozessschritte
  • klar sichtbare Reminder
  • „Commitment Devices“

Gewohnheiten wirken stärker und stabiler als Motivation.

Routinen etablieren

Nachhaltige Veränderung entsteht durch wiederholte Ausführung:

  • Feste Abläufe: Klare, wiederkehrende Prozesse schaffen Verlässlichkeit und reduzieren Entscheidungsmüdigkeit.
  • Klare Trigger: Definierte Auslöser helfen dabei, gewünschtes Verhalten automatisch zu aktivieren.
  • Definierte Meilensteine: Regelmäßige Überprüfungspunkte sichern kontinuierlichen Fortschritt und Anpassungsfähigkeit.
  • Automatisierte Teamrituale: Etablierte Routinen im Team erleichtern die langfristige Umsetzung im Alltag.

3.5 Präzise Ziele (SMART, OKRs, KPI-logisch)

Die empirische Grundlage ist eindeutig: Präzise formulierte Ziele erhöhen Fokus, Commitment und Umsetzung signifikant. Gemäß der Goal Setting Theory (Lock & Latham, 2013) gibt es fünf Kernprinzipien:

  1. Clarity: Die Ziele müssen klar, spezifisch und eindeutig sein (z. B. „Umsatzsteigerung um 15 %“) und dürfen nicht vage sein („Besser werden“).
  2. Challenge: Die Ziele sollten so schwierig sein, dass sie zu Anstrengungen motivieren, aber dennoch realistisch und erreichbar sind und den Einzelnen zu Verbesserungen anspornen.
  3. Commitment: Der Einzelne muss das Ziel akzeptieren und sich dafür engagieren, was oft durch die Beteiligung an der Festlegung des Ziels gefördert wird.
  4. Feedback: Regelmäßige Informationen über die Fortschritte sind entscheidend für die Anpassung der Strategien und die Aufrechterhaltung der Motivation.
  5. Task Complexity: Der Schwierigkeitsgrad des Ziels muss den Fähigkeiten des Einzelnen und den verfügbaren Ressourcen entsprechen, um sicherzustellen, dass es erreichbar ist.

Moderne Zielsetzungs- und Prozessmethoden wie SMART, SWOOP und OKR berücksichtigen die empirischen Erkenntnisse und bieten im unternehmerischen Umfeld wirkungsvolle Frameworks für die Umsetzung von Intentionen in Verhalten.

4. Konkrete Hilfestellungen für Unternehmen

  • Klare Ziel- und Messgrößendefinition: Bevor eine Veränderung startet, sollte definiert sein: Was will ich erreichen? Wie wird Erfolg gemessen?
  • Führung & Sponsorship: Entscheidend ist, dass das Top-Management nicht nur formal involviert ist, sondern aktiv changefähig handelt (z. B. durch Kommunikation, Ressourcen, Vorbild).
  • Menschen- und Kulturperspektive: Wandel betrifft nicht nur Prozesse oder Technik, sondern insbesondere Menschen (Einstellungen, Emotionen, Gewohnheiten). Gestaltung von Kommunikation, Beteiligung und Lernprozessen ist zentral.
  • Change-Kapazität beachten: Wenn bereits viele Initiativen gleichzeitig laufen oder die Organisation „überfordert“ ist (Change-Fatigue), steigt das Risiko des Scheiterns.
Empirisch gut belegt sind ebenfalls die Mechanismen, die Widerstand und Akzeptanz im Change prägen.

⚡️ Vakola (2016) zeigt in einer Analyse von Mitarbeiterreaktionen, dass mangelnde Kommunikation, unzureichende Einbindung und fehlende psychologische Sicherheit zentrale Treiber von Ablehnung sind.

⚡️ Ergänzend verdeutlichen Oreg, Bartunek, Lee und Do (2018), dass emotionale Reaktionen – insbesondere Unsicherheit, Verlustangst und wahrgenommene Kontrollreduktion – maßgeblich beeinflussen, wie Mitarbeitende Veränderung interpretieren und unterstützen.

4. Fazit: Unternehmen scheitern nicht an Strategie, sondern an Verhalten

Die moderne Psychologie macht klar:

  • Absichten sind wertlos, wenn sie nicht in Verhalten übersetzt werden.
  • Fast jede organisationale Transformation scheitert nicht an Zielen, sondern an Umsetzungsbarrieren.
  • Die Intention–Behaviour-Gap ist kein individuelles Problem, sondern ein systemischer Mechanismus, der ohne Verhaltensdesign immer wieder entsteht.

Erfolgreiche Unternehmen gestalten Verhalten – nicht Motivation. Sie bauen Friktion ab, schaffen klare Pläne, stärken Selbstwirksamkeit und etablieren Routinen. Damit wird aus Strategie tatsächliche Veränderung.

(1) Soziales Faulenzen (Social Loafing) beschreibt die Tendenz von Individuen, in Gruppen weniger Aufwand zu betreiben als wenn sie alleine arbeiten. Dies wird besonders in größeren Teams problematisch, wo die Leistung pro zusätzlichem Teammitglied abnimmt.
Quellen:

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179–211. https://doi.org/10.1016/0749-5978(91)90020-T

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. W.H. Freeman.

Carroll, G. D., et al. (2023). Friction and behaviour change. Nature Human Behaviour, 7, 412–420. https://doi.org/10.1038/s41562-022-01482-y

Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions. American Psychologist, 54(7), 493–503. https://doi.org/10.1037/0003-066X.54.7.493

Hagger, M. S., et al. (2023). The intention–behaviour gap in physical activity. Psychology of Sport and Exercise, 68, 102493. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2023.102493

Hughes, M. (2011). Do 70 per cent of all organizational change initiatives really fail? Journal of Change Management, 11(4), 451–464. https://doi.org/10.1080/14697017.2011.630506

Kotter, J. P. (1995). Leading change: Why transformation efforts fail. Harvard Business Review, 73(2), 59–67.

Lally, P., van Jaarsveld, C., Potts, H., & Wardle, J. (2010). How habits are formed. European Journal of Social Psychology, 40(6), 998–1009. https://doi.org/10.1002/ejsp.674

Locke, E. A., & Latham, G. P. (2013). New developments in goal setting and task performance. Routledge.

Oreg, S., Bartunek, J. M., Lee, G., & Do, B. (2018). An affect-based model of recipients‘ responses to organizational change events. Academy of Management Review, 43(1), 65–86. https://doi.org/10.5465/amr.2014.0335

Peng, Y., et al. (2023). Implementation intentions and physical activity: A meta-analysis. Sustainability, 15(16), 12457. https://doi.org/10.3390/su151612457

Rhodes, R. E., & de Bruijn, G. J. (2013). How big is the physical activity intention–behaviour gap? British Journal of Health Psychology, 18(2), 296–309. https://doi.org/10.1111/bjhp.12032

Schwarzer, R. (2008). Modeling health behavior change. Applied Psychology, 57(1), 1–29. https://doi.org/10.1111/j.1464-0597.2007.00325.x

Vakola, M. (2016). The reasons behind change recipients‘ behavioral reactions. Journal of Organizational Change Management, 29(7), 1202–1215. https://doi.org/10.1108/JOCM-10-2015-0188

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